Samstag, 27. Dezember 2014

Manchmalwahr

Diese Geschichte beruht vielleicht auf wahren Begebenheiten, aber dafür habe ich keine Garantie.



Es ist nicht mutig etwas zu tun, vor dem andere Menschen sich fürchten. Es ist mutig etwas zu tun, vor dem man selbst Angst hat. Mutige Menschen kennen Angst besser als Furchtsame, weil sie ihren Feind kennen lernen um ihn zu bezwingen und manchmal freunden sie sich sogar mit ihm an.

Mut aber erfordert immer Angst.
Und Angst habe ich.

Der Zug stand. Als würde ich nicht ohnehin schon genug Zeit im Zug verbringen. Es kann ganz gemütlich sein, aber diese ewige Pendelei kostet einfach zu viel Lebenszeit, die ich nicht besitze. Da kann man wirklich verrückt werden. Man musste sich nur mal die Leute ansehen, die hier mitfuhren. Zugfahren könnte so gemütlich sein, wenn die ganzen Menschen nicht wären.
Wie es aussah würden wir noch länger hier verweilen.

Zwei Männer liefen durch das Abteil und regten sich übertrieben lautstark über den Stillstand auf. Diese Energieverschwendung brachte ihnen doch auch nichts. Ich hatte das Gefühl, dass es sich um Bahnangestellte handelte, die Undercover waren. Sie versuchten sich mit übereifertem Schauspiel als verärgerte Reisende auszugeben um nicht den Hass aller Passagiere auf sich zu ziehen. Dieses unüberhörbare Genörgel nervte aber auch.
Die zwei Lehrerinnen schräg gegenüber ließen sich davon nicht stören. Sie stritten weniger lautstark, aber genauso intensiv, welche Angaben in einen Filmsteckbrief gehörten. Ich finde es gut, dass sie versuchen Lerninhalte zu vereinheitlichen. Es gibt nichts schlimmeres, als wenn jeder Lehrer einem etwas anderes erzählt, aber diese beiden würden wohl nicht zu einer gütlichen Einigung kommen. Hier ging gerade eine Freundschaft zu Bruch.

Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einem anderen Passagier auf sich gezogen. Der Kerl, der hinter mir saß telefonierte und klang sehr verzweifelt.
"Die können doch nicht einfach so..bestimmen, dass ich eine Gefahr für die Allgemeinheit bin............Das letzte mal..war im August......Wenn das so weiter geht, werde ich wirklich noch zum Mörder."
Das war so der Moment, in dem ich anfing Angst zu haben.

Ich versuche möglichst natürlich aufzustehen, als hätte es nichts mit seinem Telefonat zu tun. Er kann mir doch gar nicht ansehen, dass ich es gehört habe. Aber natürlich weiß er es.
Zum Glück ist er viel zu vertieft. Ich gehe vier Abteile weiter. Sicher ist sicher!
Als ich einen Mann mit Handy am Ohr den Gang entlang kommen sehe, bekomme ich einen kleinen Herzinfarkt.
Glücklicherweise handelt es sich um einen anderen Gast, der viel lauter spricht und weniger bedrückt wirkt, obwohl er gerade jemandem von der Zugverspätung berichtet. Vereinzelt rufen Menschen aus dem Abteil ihm zu, was er der Person am anderen Ende der Leitung erzählen soll. Während er telefoniert, antwortet er den Zwischenrufen und schaut mich dabei an. Ich bin unendlich verwirrt. Es könnte nur schlimmer sein, wenn er schielen würde. Soll ich was sagen? Redet er vielleicht doch mit mir?
Ich bin wirklich froh, als er weitergeht. Erschöpft lehne ich meine Stirn an die kühle Scheibe und schließe die Augen. Nach einigen Minuten bringe ich mich wieder in eine normale Haltung.
Ich kann nicht fassen, dass der Zug immer noch steht.
Als ich meinen Blick schweifen lasse, sehe ich wie eine Frau die Seite einer Zeitschrift ableckt...Moment...was?...Ich muss mich verguckt haben. Meine armen Nerven spielen mir schon Streiche.
Ich krame meine Kopfhörer aus der Tasche und versuche mich mit Musik etwas zu entspannen. Meine Augen wandern ziellos umher und finden immer wieder zu der Frau mit der Zeitschrift zurück. Sie liest nur. UND SIE LECKT DIE SEITE AB??? Das war keine Einbildung!! Heimlich beobachte ich die Frau. Tatsächlich: Jedes mal wenn sie eine Seite gelesen hat, leckt sie sie ab. Was soll das? Wo bin ich hier?
Irgendwas ist ganz und gar nicht normal - und ganz ehrlich: Ich habe Angst.

Würde mir jemand von dieser Begebenheit erzählen, wäre das sicher eine witzige Anekdote, aber ich komme gerade einfach nicht mehr klar. So etwas kann doch nicht wirklich passieren?
Ich setze mich auf die andere Seite der Vierer-Sitzgruppe und starre stur an die Decke.

Als meine Augen müde werden, lasse ich meinen Kopf sinken. Ein Mann holt aus seiner Tasche einen Kochtopf (ER HAT EINEN KOCHTOPF DABEI!!) und ein Netz Kartoffeln. Natürlich fängt er an zu schälen. Was sonst?
Was zur Hölle ist hier los?
Ich versuche mir Gründe einfallen zu lassen...- für alles.
Nach langer, langer, langer Zeit steige ich endlich aus dem Zug. Mein Kopf glüht und die Luft ist eisig kalt.
Manchmal wenn es kalt wird, riecht die Luft für mich so, als würde in 10km Entfernung jemand ein Lagerfeuer machen. Heute ist so ein Tag.

Ich versuche mich auf die Kälte zu konzentrieren um eine Distanz zu diesem Reiseerlebnis zu bekommen und um mir vorzustellen, dass das alles ganz normale Menschen waren.
Wie die Schreckgespenster alter Grundschulkameraden, die einen einst einschüchterten, die aber irgendwann einfach nur noch ganz normale, ja sogar langweilige, Menschen waren, so hoffe ich, dass auch die Schreckgespenster des heutigen Tages sich verflüchtigen und ich bei der nächsten Zugfahrt weiß, dass es keinen Grund gibt Angst zu haben vor dem ganz normalen Wahnsinn.






Mein üblicher Twist wäre es, jetzt anzudeuten, dass der Protagonist selbst einen gewaltigen Dachschaden hat, aber Abwechslung muss sein und heute ist er einfach nur auf einem normalen Level verstört. Auf das Elend normal zu sein, muss schließlich auch mal hingewiesen werden. 




Montag, 15. Dezember 2014

....denn mein ist das Reich und die Macht und die Verderblichkeit in Endlichkeit. Amen.

Jetzt wissen wir ungefähr wo er ist.
Ich verstehe nicht, wie ihr nicht auffallen konnte, dass wir uns verlaufen hatten, wo wir doch geradewegs auf eine graue Betonwand statt auf Fenster und transparente Ausgangstüren zu liefen.
Die Decke war so niedrig, dass sogar ich, ja sogar sie selbst, sie mit der Hand erreichen konnte.
Oh, diesen Gang, mochte ich. Aber es war nunmal nicht der richtige Weg, sondern nur eine Sackgasse. Eine gemütliche Sackgasse, die Musik aus dem verschlossenen Raum der Wünsche erschallen ließ. Das Teufelchen war verwirrt, aber in ihrer Verwirrung nicht sicher genug, um ihre Freundin auszubremsen.
Und ich? Ich wollte die "magische Abkürzung" nicht mehr finden. Ich wollte in der Nähe des Raums bleiben um ihn niemals zu betreten. Ich würde ihn so gut gebrauchen können, aber was, wenn hier keine Wünsche erfüllt werden? Wenn das nicht der Raum der Wünsche ist? - Ich würde mehr verlieren, als mir ein Wünsche erfüllender Raum geben könnte.
Ich kann mich mit dem Gedanken trösten, ihn jederzeit benutzen zu können, auch wenn ich es in Wirklichkeit nicht kann.


Ich habe ein Buch, das keiner lesen kann .
Und ich kann keine normalen Bücher mehr lesen. Vermutlich habe ich einen Tumor. Ich kann ja nicht mal mehr Uhren lesen. Ich war heute aus Versehen eine Stunde zu früh in der Uni.
Dafür ist mir Samstag einiges durch die Lappen gegangen, weil ich erst kurz vor meiner Destination bemerkte, dass ich eine Stunde zu spät dran bin.
Ich denke mir nie, dass etwas nicht stimmt und wenn ich dann Zeit finde über die Uhrzeit nachzudenken, ist sie falsch.
Und dann stand ich da auf der Moselbrücke im kalten Regen und wusste nicht, ob es sich noch lohnt hinzugehen. Ich hatte dann ein paar Leute gefragt, aber irgendwie hatten sie mich nicht lieb und haben mir nicht gleich geantwortet.
Ich habe mir eine Zigarette angezündet und auf die Mosel gestarrt. Sah doof aus. Niemand kommt hier her um das zu machen, weil die viel befahrene Brücke wenig idyllisch ist. Also laufe ich hin und her und denke über die Streber-Blondies nach. Die müssen gar nicht so nett zu mir sein. - Ich weiß, dass sie mich für dämlich halten.
Naja, ich bin ja auch nett zu Angeber-Blondie. Wahrscheinlich kann er nichts dafür, dass er so ist. Er heißt eben Tim. Ich habe noch keinen Tim getroffen, den ich nicht scheiße fand.


Und dann du. Ich schiebe jeden Mist, den ich verzapfe auf dich. - Bis auf die eine Sache, die wir totschweigen.
Eigentlich bin ich selbst Schuld - dass wissen wir beide. Stell dir also vor, ich würde mit mir selbst reden, wenn ich mit dir rede, denn irgendwie ist das auch der Fall. Vielleicht fängst du dann nicht an mich zu hassen. Obwohl das vielleicht gar nicht so schlecht wäre.
Eigentlich ist es schön, dir meine ganzen Schuldgefühle aufladen zu können.
Und du bleibst. Vielleicht hasst du mich ja schon, aber du kannst nicht gehen. Momentan macht es sogar ein bisschen Spaß mit all den negativen Gefühlen, weil du "wie neu" bist und asozial genug und ich dir eigentlich auch egal bin. Das erleichtert mich sehr.
Aber deswegen brauche ich bald wieder dein treues altes Du, das festzuhalten immer schwerer wird.
Und ich brauche definitiv mehr Freunde, denen ich egal bin.

Ich weiß wie das klingt, aber ich bin nicht trübsinnig. Ich nehme das also nur nicht so wichtig. Dinge wichtig zu nehmen ist anstrengend. Aber deswegen ist mir nicht alles gleichgültig.
Diese Woche war ich drauf und dran dem Penner vorm Rewe ein bisschen was von meinen Einkäufen mitzugeben, bis sich herausstellte, dass er kein Penner war.
...
Zum Glück hatte ich einigermaßen diplomatisch gefragt und er war von der Sorte Mensch, die sich darüber freuen, dass es noch das Gute im Menschen gibt.
Aber war das wirklich das Gute im Menschen, oder gar im Baum? - Ich glaube nicht, denn DAS ist mir dann doch ziemlich egal.